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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.08.2000
Aktenzeichen: 4St RR 98/2000
Rechtsgebiete: StPO, EF-VO, EVerbrStBV
Vorschriften:
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 | |
EF-VO § 2 Abs. 2 | |
EF-VO § 2 Abs. 2 Nr. 1 | |
EF-VO § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 | |
EVerbrStBV § 1 Abs. 1 Satz 2 |
Bayerisches Oberstes Landesgericht BESCHLUSS
Der 4. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Bayerischen Obersten Landesgerichts Lancelle sowie der Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Vitzthum und Dr. Pettenkofer
am 22. August 2000
in dem Strafverfahren
wegen Steuerhinterziehung
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft
beschlossen:
Tenor:
I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.
III. Der Angeklagte ist für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen, soweit er sich über die Hauptverhandlung des Amtsgerichts Regensburg am 21. Juni 1999 hinaus in Untersuchungshaft befunden hat.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Regensburg verurteilte den Angeklagten am 21.6.1999 wegen versuchter Steuerhinterziehung zu drei Monaten Freiheitsstrafe.
Nach den Feststellungen des Amtsrichters reiste der Angeklagte am 2.2.1999 mit seinem Pkw Ford Escort aus Tschechien kommend über das Zollamt W/Autobahn in die Bundesrepublik Deutschland ein. Auf die Frage des Abfertigungsbeamten nach mitgebrachten Waren meldete er eine Stange Zigaretten an. Tatsächlich hatte er vier weitere unversteuerte und unverzollte Stangen Zigaretten der Marke West unter der Dämmatte der Motorhaube seines Fahrzeuges versteckt. Er wollte diese Waren einführen, ohne die dafür anfallenden Eingangsabgaben zu entrichten. Die Zigaretten wurden jedoch bei der Kontrolle des Pkw gefunden und sichergestellt. Die Höhe dieser Abgaben wird in dem Urteil einerseits mit 352,-- DM, an anderer Stelle aber mit 252,-- DM beziffert.
Die vom Angeklagten gegen dieses Urteil eingelegte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung verwarf das Landgericht Regensburg am 12.1.2000, wobei es einen Steuerschaden von 252,-- DM annahm.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung des formellen und des materiellen Rechts beanstandet.
II.
Die zulässige (§§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision hat Erfolg.
Den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende und damit zulässige Verfahrensrügen sind allerdings nicht erhoben. Vergeblich beanstandet die Revision auch Abweichungen der schriftlichen Urteilsgründe von der mündlichen Mitteilung der Urteilsgründe. Hierauf kann die Revision nicht gestützt werden, weil die schriftlichen Urteilsgründe auch dann allein maßgeblich sind, wenn sie von den mündlich mitgeteilten Urteilsgründen abweichen (st. Rspr., vgl. z.B. schon BGHSt 2, 63/66). Doch ergibt die auf die gleichwohl zulässig erhobene Sachrüge hin vom Revisionsgericht von Amts wegen vorzunehmende Überprüfung der Verfahrensvoraussetzungen und -hindernisse, daß das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen ist.
1. Zunächst trifft die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe versucht, Eingangsabgaben in Höhe von DM 252,-- zu verkürzen, nicht zu. Sie konnte die Höhe dieser Steuern schon nicht durch Verlesen des sie festsetzenden Steuerbescheids feststellen, sondern hatte sie selbst zu berechnen und diese Berechnung erforderlichenfalls in den Urteilsgründen im einzelnen darzustellen (st. Rspr., vgl. z.B. BGH wistra 1990, 150 m.w.N.).
Der Berechnung der Eingangsabgaben sind nicht, wie dies im Steuerbescheid vom 2.2.1999 geschieht, von dem der Senat hier im Freibeweisverfahren Kenntnis nimmt, 1.000 Zigaretten (fünf Stangen) zugrunde zu legen, wovon augenscheinlich auch der Amtsrichter und die Strafkammer ausgehen, sondern nur 800 Zigaretten (vier Stangen). Art. 45, 46 Abs. 1 Buchst. a) der VO (EWG) Nr. 918/83 und ihnen folgend § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Einreise- und Freimengen-Verordnung (EF-VO) vom 3.12.1974 (BGBl I S. 3377), zuletzt geändert durch Art. 1 der, Achten Verordnung zur Änderung der EF-VO vom 28.6.2000 (BGBl I S. 1006), nach der sich gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 der Einfuhr-Verbrauchssteuerbefreiungsverordnung (EVerbrStBV) in der zur Tatzeit geltenden Fassung des Art. 4 der Verordnung zur Änderung von Vorschriften über außertarifliche Einfuhrabgabenbefreiungen vom 3.8.1993 (BGBl I S. 1461/1464) die Steuerbefreiung von Waren im persönlichen Gepäck von Reisenden ausschließlich bestimmt, stellen bei Reisenden, die mindestens 17 Jahre alt sind, 200 Zigaretten von Eingangsabgaben frei. Art. 48 VO (EWG) Nr. 918/83 stellt klar, daß bei teilbaren Reisemitbringseln Eingangsabgaben nur zu entrichten sind, soweit die genannte Grenze überschritten wird. Die Eingangsabgabenfreiheit entfiel hier also nicht schon deshalb, weil der Angeklagte nicht nur eine, sondern fünf Stangen Zigaretten mitgebracht hat. Dem Angeklagten durfte aber die Abgabenfreiheit einer Stange Zigaretten auch nicht deshalb versagt werden, weil er versucht hatte, vier Stangen Zigaretten in die Bundesrepublik Deutschland einzuschmuggeln. Weder die VO (EWG) Nr. 918/83 noch die EF-VO enthalten eine ausdrückliche Regelung des Inhalts, daß die dort normierte Abgabenfreiheit auf die Reisenden beschränkt ist, die eingangsabgabenpflichtige Mitbringsel zollrechtlich korrekt anmelden. Eine solche Einschränkung läßt sich auch dem Sinngehalt dieser Bestimmungen nicht entnehmen. Ebensowenig räumen diese Normen den Zollbehörden ein Ermessen bei der Entscheidung ein, ob und in welchem Umfang der Reisende die Einreise-Freimengen beanspruchen kann. Die Regelungssystematik der EF-VO zeigt vielmehr eindeutig, daß diese Verordnung zwischen Fallgestaltungen unterscheidet, bei denen dem Reisenden Eingangsabgabenfreiheit zu gewähren ist, und solchen, bei denen dies ausgeschlossen ist (vgl. hierzu z.B. § 2 Abs. 2 EF-VO in allen bisherigen Fassungen). Soweit die EF-VO Ausschlußtatbestände formuliert, ergibt sich aus ihrem klaren Wortlaut, daß es sich um deren abschließende Aufzählung und nicht etwa nur um eine beispielhafte Benennung handelt, die die Versagung der Abgabenfreiheit auch aus anderen Gründen zuließe. Danach wäre im vorliegenden Fall die Abgabenfreiheit einer Stange Zigaretten nur dann ausgeschlossen, wenn die Menge der Zigaretten Anlaß zur Besorgnis gäbe, daß die Einfuhr aus geschäftlichen Gründen erfolgte (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 EF-VO). Hierfür bieten die Urteilsfeststellungen aber keinerlei Anhaltspunkte.
Die Summe der Einfuhrabgaben, die der Angeklagte zu verkürzen versucht hat, beträgt daher 201,61 DM. Diese errechnet sich wie folgt:
Warenwert/Zollwert: (4 Stangen à 16,-- DM)|64,-- DM|Zoll-Euro 68,4 % (vgl. VO (EG) Nr. 2261/98 vom 26.10.1998, ABl vom 30.10.1998, S. 1/206|43,78 DM|Tabaksteuer (TabSt) (0,0922 DM/Stück + 21,96 % des Kleinverkaufspreises von 0,27 DM/Stück, vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 TabStG vom 21.12.1992, BGBl I S. 2150 i.d.F. der VO zur Änderung des TabStG vom 2.6.1998, BGBl I S. 1182)|121,19 DM|Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) 16 % aus 228,97 DM 36,64 DM (Zollwert + Zoll-Euro + TabSt)| 36,64 DM|Einfuhrabgaben insgesamt(Zoll-Euro + TabSt + EUSt)|201,61 DM
2. Damit steht einer Ahndung des Angeklagten wegen dieses Steuerdelikts das Verfahrenshindernis (vgl. dazu z.B. BayObLGSt 1981, 80) der Wertgrenze von 250,-- DM des § 32 Abs. 1 Zollverwaltungsgesetz (ZOllVG) vom 21.12.1992 (BGBl I S. 2125), zuletzt geändert durch Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchssteuergesetzen vom 26.5.1998, BGBl I S. 1121/1124, entgegen. Denn die vier Stangen Zigaretten waren nicht an schwer zugänglicher Stelle im Sinne von § 32 Abs. 2 Nr. 1 ZollVG versteckt. Zur Prüfung der Frage, ob das genannte Verfahrenshindernis vorliegt, hat der Senat im Freibeweisverfahren telefonisch eine Stellungnahme von Frau N geb. S, erholt, die als Zollbeamtin mit der Überprüfung des Pkw des Angeklagten befaßt gewesen war. Danach befanden sich die vier Stangen Zigaretten auch nach Öffnen der Motorhaube nicht sichtbar hinter der Dämmatte der Motorhaube. Sie wurden durch Abtasten der Dämmatte entdeckt. Sodann wurde die mit einer Art Druckknöpfen an der Motorhaube befestigte Dämmatte mittels eines Stopfenhebers abgenommen.
Dem Senat ist bekannt, daß die Abnahme einer derart befestigten Dämmatte zwar durch den Einsatz eines Stopfenhebers erleichtert wird, daß sie aber auch ohne besonderen Kraftaufwand von Hand abgenommen werden kann. Damit aber war das Versteck der Zigaretten nicht schwer zugänglich. Denn allein durch das Verstecken der Zigaretten im Motorraum eines Pkw hat der Angeklagte dieses Merkmal nicht verwirklicht (BayObLGSt 1971, 160). Aber auch das dort von ihm gewählte Versteck war für die Zollbeamten nicht schwer zugänglich. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Zigaretten nur durch Einsatz technischer Hilfsmittel bzw. unter erheblichem Zeitaufwand auffindbar gewesen wären oder wenn sich die Zollbeamtin bei der Suche der Gefahr der Beschmutzung ausgesetzt hätte (vgl. BayObLGSt 1971, 160; 1961, 213, 275; vgl. auch OLG Bremen NJW 1976, 1326; OLG Oldenburg ZfZ 1974, 50). All dies trifft aber auf das hier in Rede stehende Versteck hinter einer von Hand abnehmbaren Dämmatte nicht zu.
III.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Verfahren wegen Vorliegens des Verfahrenshindernisses des § 32 Abs. 1 ZollVG gemäß § 206 a Abs. 1 StPO eingestellt. Eine Aufhebung des angefochtenen Urteils ist nicht erforderlich (BayObLGSt 1985, 52/55).
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse (§ 467 Abs. 1 StPO). Von der Möglichkeit, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO nicht aufzuerlegen, hat der Senat keinen Gebrauch gemacht, weil das Verfahrenshindernis schon vor Anklageerhebung bestanden hat.
Eine Entschädigung des Angeklagten für die von seiner Festnahme am 9.6.1999 (Bl. 26 d.A.) bis zum Abschluß der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung am 21.6.1999 um 16.16 Uhr (Bl. 27 d.A.) erlittene Untersuchungshaft ist gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 StrEG ausgeschlossen. Denn der Angeklagte hat diese Haft dadurch verursacht, daß er trotz ordnungsgemäßer Ladung (Bl. 17 Rs. d.A.) ohne Angabe von Entschuldigungsgründen nicht zur Hauptverhandlung erschienen ist, so daß Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO gegen ihn erlassen wurde. Diese Strafverfolgungsmaßnahme hat der Angeklagte nach Sachlage jedenfalls fahrlässig verursacht, weil er damit rechnen mußte, daß der Amtsrichter angesichts dieses Verhaltens entsprechend dem Hinweis in der Ladung seine Verhaftung anordnen würde.
Zu entschädigen ist dagegen der Angeklagte gemäß § 2 Abs. 1 StrEG, soweit er sich nach Abschluß der amtsgerichtlichen Verhandlung aufgrund des auf § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gestützten Haftbefehls des Amtsgerichts Regensburg vom 21.6.1999 in Untersuchungshaft befunden hat. Insoweit ist eine Entschädigung des Angeklagten weder nach § 5 StrEG ausgeschlossen noch kommt ihre Versagung nach § 6 StrEG in Betracht.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 349 Abs. 4 StPO durch einstimmig gefaßten Beschluß.
Ende der Entscheidung
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